22.05.2019

Toni Oesch war unser Mann in Panmunjom

Seit 1953 trägt die Schweiz dazu bei, dass die Grenze zwischen Nord- und Südkorea und der Waffenstillstand respektiert werden. «Pro Militia» sprach mit einem ehemaligen Offizier der Schweizer Armee, der an der innerkoreanischen Grenze Dienst leistete. Er war quasi «unser Mann in Panmunjom». Noch heute wird der 92-jährige Toni Oesch aus Zollikofen zu Veteranentreffen eingeladen. Wir zeigen eindrückliche Bilder.

Am 7. Juli 1953 beschloss der Bundesrat, das Eidg. Militärdepartement zu ermächtigen, die Entsendung von bewaffneten Schweizer Armeeangehörigen für die beiden Kommissionen NNRC (neutrale Heimschaffungskommission für Kriegsgefangene) und NNSC (neutrale Überwachungskommission für den Waffenstillstand in Korea) vorzubereiten. Das war gleichzeitig die Geburtsstunde der schweizerischen militärischen Friedensförderung. 

Im Laufe der folgenden Monate reisten etappenweise insgesamt 146 Schweizer nach Korea. Einer davon war der Berner Toni Oesch, mit dem die Zeitung «Pro Militia» ein Gespräch führen durfte. 

Die NNRC stellte ihre Tätigkeit Ende Februar 1954 wieder ein, da sie ihre Aufgabe, die Durchführung und Beendigung des Gefangenenaustausches, erfüllt hatte. Die NNSC hingegen besteht noch heute, allerdings mit einem angepassten Aufgabenspektrum im Rahmen ihres Mandats und wird von der Schweizer Armee mit fünf unbewaffneten Offizieren in Panmunjom unterstützt. 

Das zwischen den Kriegsparteien ausgehandelte Waffenstillstandsabkommen wies der NNSC ursprünglich Kontroll-, Beobachtungs-, Inspektions- und Untersuchungsfunktion zu. Diese weitreichenden Funktionen wurden jedoch bereits zu Beginn der Mission darauf reduziert, mit Inspektionsteams an je fünf im Waffenstillstandsabkommen festgelegten Umschlagplätzen «Ports of entry» in Nord- und Südkorea den Austausch von Militärpersonal und Kriegsmaterial zu überwachen. 

Heute versehen fünf Schweizer Offiziere und fünf schwedische Offiziere ihren Dienst in der NNSC und sind in Panmunjom unmittelbar südlich der Demarkationslinie stationiert. Ihre Hauptaufgabe besteht aktuell weiterhin in der Überwachung des Waffenstillstandsabkommens, wenn auch seit 1995 nur auf der Südseite. 

Seit 2010 verfügt die NNSC darüber hinaus über ein im Rahmen des Waffenstillstandsabkommens erweitertes Aufgabenspektrum bestehend aus vereinbarten Zusatzaufgaben, welche vor allem der Förderung von Transparenz und der Vertrauensbildung dienen sollen. Diese, im Mai 2016 überarbeiteten und bestätigten Aufgaben, umfassen nebst der erweiterten Informationsvermittlung unter anderem die Teilnahme an Inspektionen der Waffenstillstandskommission auf der Südseite, die Beobachtung von militärischen Übungen der südkoreanischen und der US-Streitkräfte und Beobachtungen von Spezialuntersuchungen der Waffenstillstandskommission bei vermuteten Waffenstillstandsverletzungen. 

Die NNSC-Delegierten sind weder UNO-Blauhelme noch UNO Militärbeobachter (Blaumützen), denn die UNO-Flagge steht für die Allianz der 16 truppenstellenden Nationen, welche unter Führung der USA an der Seite Südkoreas am Krieg teilgenommen hatten. Somit ist die UNO auf der koreanischen Halbinsel kriegsführende Partei. 

Das Mandat der NNSC basiert auf dem Waffenstillstandsabkommen der Kriegsparteien. Als Armeeangehörige ihres Landes haben die NNSC-Delegierten ihren militärisch-diplomatischen Auftrag transparent und unparteilich zu erfüllen. Die in der Waffenstillstandsvereinbarung erwähnten neutralen Staaten sind Schweden und die Schweiz für Südkorea sowie Polen und die Tschechoslowakei für Nordkorea. Ihre Soldaten wurden auf der entsprechenden Seite der Grenze stationiert. 

Nach dem Fall des «Eisernen Vorhangs» wurden die Polen und Tschechen (die mittlerweile EU-Mitglieder sind), im Jahr 1993 auf Veranlassung Nordkoreas abgezogen. Die Schweizer und die schwedischen Teams waren klein und vertrauten auf ihre Gastgeber für die Bereitstellung von Hilfspersonal, Fahrzeugen und Kommunikationsausrüstungen für die Berichterstattung an die Waffenstillstandskommission. Die tschechischen und polnischen Mannschaften waren viel grösser und völlig autark, einschliesslich schwerer Radio-Lastwagen, Dolmetscher, Köche und Messgeräte.

Die Zeitung Pro Militia sprach mit dem heute 92-jährigen Toni Oesch aus Zollikofen (BE). Der Berner war als einer der ersten Schweizer Offiziere an der innerkoreanischen Grenze eingesetzt worden. Er war Leutnant und wurde während seinem Dienst in Hungnam zum Oberleutnant befördert. 

"Pro Militia": Unter welchen Umständen hat die Schweiz damals einer Mitarbeit bei der NNSC zugestimmt? 
Toni Oesch: Die Schweiz wurde als neutraler Staat von der UNO angefragt, ob sie diese Funktion und vor allem die Funktion der NNRC (Neutral Nations Repatriation Commission) übernehmen könnte. Die Aufgabe der NNRC war es, Kriegsgefangene in die Heimatländer zu überführen. Die NNRC war ein wichtiger Schlüsselpunkt für den Waffenstillstand. Es war der erste derartige Einsatz der Schweiz. 

Wie sind Sie überhaupt ausgewählt worden?
Ich war jung, sportlich, gebirgserfahren und hatte gute Englischkenntnisse. Nach einem gewonnenen Winter-Armeewettkampf empfahl mich Div Kdt Karl Brunner als Kandidat für die Korea-Mission. 

Welches waren und sind eigentlich die wichtigsten Aufgaben der NNSC?
Es gab je fünf «Ports of Entry» auf der Nord- und Südseite, die von der NNSC überwacht wurden. Ansonsten gab es zwischen Nord- und Südkorea kein Durchkommen mehr. Dabei galt bei der Ein- und Ausfuhr das Motto «Stück per Stück», das heisst, die Nord-, beziehungsweise die Südseite hatte ein Anrecht auf die Wiedereinfuhr von gleichwertigem Material und einer gleich grossen Mannschaft. Im Juni 1956 verbot die UNO diese Tätigkeit, weil uns der Norden, mit wenigen Ausnahmen, meistens ins Leere laufen liess (beispielsweise im Sommer 1954, als ich Chef unseres 3er-Teams in der Grenzstadt Manpo am Yalu war, wo wir eine Division Chinesen bei ihrer Rückkehr nach China gezählt haben). 

Was waren die spannendsten Aspekte Ihres Dienstes in Korea? 
Die NNRC hat in der demilitarisierten Zone in Panmunjom ihre Aufgaben erfüllt. Von den fünf «Ports of Entry» waren nur zwei an der chinesischen Grenze. Kaum war ich dort, wurde die NNRC Februar 1954 aufgelöst und ich habe in die NNSC gewechselt. Dann musste ich zehn Wochen im kalten Winter in Hungnam (Nordkorea) unter härtesten Verhältnissen Dienst leisten. Es sind Temperaturen von bis zu minus 20 Grad Celsius gemessen worden. Dazu kam noch eine starke Bise. Und das jeden Tag. Die Bodenheizungen in den Baracken setzten giftige Gase frei. Des Weiteren hat man miserabel gegessen. Aber nichts von dem hat mich gestört. Als Alpinist war ich Kälte gewohnt und belastbar.

Danach war ich entweder in allen «Ports of Entry» stationiert oder habe diese als Kurier bedient. Zudem bin ich etliche Male als Kurier nach Tokio zur Schweizer Botschaft im Einsatz gewesen. 

Die Aufgaben der NNRC waren teilweise aufreibend, denn es ging doch bei Kriegsgefangenen um menschliche Einzelschicksale. In der NNSC waren die Aufgaben komplett anders gelagert, dazu kamen im Norden einfachere Lebensbedingungen zum Tragen. 

Wie sind Sie mit der ständigen Überwachung durch Nordkorea umgegangen?
Wir haben unsere Pflicht nicht direkt an der Grenze zu Nordkorea erfüllt, denn es war nicht möglich, sich im Norden frei zu bewegen. Die Compounds, in denen wir lebten, waren eng begrenzt. Ausserdem waren wir ständig bewacht und ausserhalb eines bestimmten Rayons von bewaffnetem Militärpersonal begleitet. Fotografieren war nur bedingt gestattet. Funk und Telefone wurden selbstverständlich abgehört. Dessen waren wir uns bewusst. 

Ist die Schweiz in Ihren Augen ihrem neutralen Status gerecht geworden? 
Meiner Meinung nach hat die Schweizer Delegation in den 18 Monaten meiner Militärdienstleistung in den beiden Kommissionen NNRC und NNSC (also 1953–55) ihre Funktionen nach bestem Wissen und Gewissen erfüllt. Dies ist natürlich alles subjektiv. Aber man versuchte, komplett neutral zu sein. Natürlich musste man die westlichen Interessen als Gegenpol gegenüber der Tschechoslowakei und Polen wahrnehmen. Aber ich glaube, wir haben unsere Arbeit gut gemacht, sonst wären wir längst nicht mehr dort. 

Fakt ist: Die Schweiz geniesst in Nord- und Südkorea grosse Anerkennung. So wurden wir letztes Jahr zum «Revisit» auf die koreanische Halbinsel eingeladen. 2003 war ich mit einer Gruppe Ehemaliger bereits in Nordkorea und wir haben die Schlacht am Chong chong nachvollzogen. Reiseleiter war Göpf Weilenmann aus Männedorf, den ich Ende 1953 in Manpo abgelöst hatte. Bereits im Jahr 1978 waren wir «Altkoreaner» nach Südkorea zum Anlass 25 Jahre Waffenstillstand eingeladen. Die Reise haben wir selbst bezahlt, aber der Aufenthalt war für uns kostenlos. Das zeigt die grosse Wertschätzung. 

Artikel und Interview von Roman Jäggi, 
Chefredaktor «Pro Militia», Bilder: Toni Oesch 
(Quellen: VBS / Toni Oesch)