Konsequenzen von Ammotec-Verkauf noch ungewiss
Der Bund hat beschlossen, sich von der zur RUAG International gehörenden Beyond Gravity zu trennen, mit der Begründung, dass die Beteiligung des Bundes an der RUAG International zur «Sicherstellung der Ausrüstung der Armee» nicht mehr gerechtfertigt sei. Tatsächlich führte die im März 2018 beschlossene Entflechtung der Aktivitäten der ehemaligen RUAG Holding AG dazu, dass der Bundesrat den Bereich Raumfahrt (Beyond Gravity, ehemals RUAG Space) der RUAG International Holding AG zuordnete. Im März 2023 wurde beschlossen, sich von Beyond Gravity zu trennen und das Unternehmen im Rahmen eines Auktionsverfahrens an einen westlichen Käufer zu verkaufen. Der Bundesrat hat zudem zur Bedingung gemacht, dass der Verkauf an einen Käufer erfolgt, dessen strategische Absichten geeignet sind, die standortpolitischen, raumfahrtpolitischen und sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz zu wahren. Die strategischen Absichten eines Käufers können sich jedoch ändern, manchmal sehr schnell, wie der politische Richtungswechsel in den USA gezeigt hat. Im gleichen Register ist es noch zu früh, um alle auch nur mittelfristigen Konsequenzen des Verkaufs der Munitionsfabrik Ammotec durch den Bund im Jahr 2022 zu kennen. Die Situation ist ungewiss, insbesondere, was den Verbleib des Unternehmens in Thun nach der im Kaufvertrag festgelegten Frist von fünf Jahren betrifft. Nichts ist weniger sicher.
Verkauf von Beyond Gravity nicht im Landesinteresse
Sich von Beyond Gravity zu trennen, wäre schlicht unsinnig und zeugt von einem eklatanten Mangel an Weitsicht. Es wäre auch nicht im Interesse des Landes, wenn die Schweiz ihre internationale Ausstrahlung in technologischen und industriellen Bereichen verlieren würde, die für das Funktionieren der Wirtschaft und die Sicherheit von Ländern auf der ganzen Welt von entscheidender Bedeutung sind. Beyond Gravity ist nach Airbus, Thales und der deutschen OHB System AG der viertgrösste Akteur der europäischen Raumfahrtindustrie. So stellt das Unternehmen unter anderem hochmoderne Komponenten her, mit denen zahlreiche Satelliten sowie die Trägerraketen Ariane und Vega ausgestattet sind. Ein Verzicht auf Beyond Gravity würde bedeuten, dass die Schweiz auf industrielle Einflussmöglichkeiten und Verhandlungspositionen im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie verzichtet. Umgekehrt würde die Anerkennung der zentralen Bedeutung von Beyond Gravity für die Sicherheit, seines Innovationspotenzials und seiner industriellen Dynamik von einer langfristigen strategischen Vision zeugen. In einem angespannten wirtschaftlichen Umfeld kann es sich bei Verhandlungen als sehr nützlich erweisen, über hochmoderne industrielle Kapazitäten und exklusive technologische Kompetenzen zu verfügen, z.B. im Bereich der Raumfahrt, wie sie Beyond Gravity besitzt.
Verhindern, in technologische Abhängigkeit zu geraten
Für die Beschaffung gewisser Schlüsselkomponenten ist teilweise die Zustimmung ausländischer Regierungen erforderlich. Es ist davon auszugehen, dass die technologische Abhängigkeit der Schweiz vom Ausland bei Schlüsselkomponenten, deren Verfügbarkeit von staatlichen Bewilligungen oder Kontrollen abhängt, in Zukunft weiter zunehmen wird, insbesondere in einem geopolitisch zunehmend angespannten Umfeld. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu erwähnen, dass Washington derzeit den Zugang der Schweiz zu Computerchips für künstliche Intelligenz (Mikrochips) einschränkt. Die Schweiz wird zwar weiterhin welche erhalten, aber nur noch in beschränktem Umfang. Der Besitz exklusiver Technologien und Kompetenzen (single source) in Schlüsselindustrien wie der Raumfahrt ist in solchen Fällen einen Verhandlungshebel. In diesem Zusammenhang hat der Direktor der Europäischen Weltraumorganisation ESA kürzlich in einem Interview erklärt, dass es ohne Schweizer Technologie keine europäischen Raketen gäbe und dass Beyond Gravity das einzige Unternehmen in Europa sei, das unter anderem die Nutzlastverkleidung für Raketen wie die Ariane 6 liefere. Es wäre fahrlässig, sich eine solche Chance entgehen zu lassen.
Kritische Infrastruktur in veränderter geopolitischen Lage
Hinzu kommt, dass sich die geopolitische und sicherheitspolitische Lage grundlegend verändert hat. Der Krieg in der Ukraine hat die Bedeutung von Weltraumkapazitäten für die Verteidigung und die Sicherheit deutlich gemacht. Der Weltraumsektor kann zu Recht als kritische Infrastruktur sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich angesehen werden. Eine Unterbrechung der Weltraumdienste kann das reibungslose Funktionieren der Gesellschaft, der Wirtschaft oder des Staates erheblich beeinträchtigen. Davor ist auch die Schweiz nicht geschützt.
In der Tat ist der Verkauf von Beyond Gravity ein Thema von strategischer Dimension sowohl für unsere Industrie und Wirtschaft – es geht um eine gewisse industrielle und technologische Souveränität – als auch für unsere Sicherheit und Verteidigung. Es geht darum, den Grad der Abhängigkeit oder Unabhängigkeit unseres Landes in den Bereichen Technologie, Industrie, Forschung, Digitalisierung, Raumfahrt und Verteidigung zu bestimmen, um nur einige zu nennen. Das Bewusstsein für die Herausforderungen der technologischen Souveränität soll letztlich dazu beitragen, die Abhängigkeit der Schweiz vom Ausland in Schlüsselbereichen wie der Raumfahrt zu verringern und sicherzustellen, dass das Land über die notwendigen technologischen Kompetenzen, das Wissen und die industriellen Fähigkeiten verfügt.
Beyond Gravity behalten – Handlungsspielraum vergrössern
Indem Beyond Gravity in einer noch zu definierenden Form unter der Kontrolle des Bundes bleibt, reduziert die Schweiz ihre Verwundbarkeiten, stärkt ihre Sicherheit, baut ihre Verteidigungsfähigkeiten aus und vergrössert ihren Handlungsspielraum im Einklang mit den sicherheitspolitischen Zielen, die der Bundesrat an seiner Sitzung vom 20. Dezember 2024 festgelegt hat. Das Unternehmen stellt einen wichtigen strategischen Trumpf dar, denn sein Know-how und seine technologischen Kapazitäten sind für die Aufrechterhaltung der Position der Schweiz im Weltraumsektor von entscheidender Bedeutung. Bei gewissen Technologien befindet sich Beyond Gravity in einer Single-Source-Situation, was bedeutet, dass es die einzige Quelle für das gewünschte Produkt oder die Dienstleistung ist. Dies stellt eine gewisse Abhängigkeit des Auslandes von der Schweiz dar und ermöglicht es, den industriellen Einfluss aufrechtzuerhalten.
Kräfte von Staat und Privatsektor bündeln
Als Alternative, insbesondere im Hinblick auf die Finanzierung, erscheint es möglich, die Kräfte des Staates und des Privatsektors zu bündeln. Beispielsweise könnte ein Verkauf von 49 % oder weniger die notwendigen Mittel für die Entwicklung des Unternehmens bereitstellen und gleichzeitig eine Mehrheit erhalten, die es erlaubt, die nationalen Interessen zu wahren. Denkbar wäre auch ein Modell ähnlich dem der Swisscom (spezialgesetzliche Aktiengesellschaft) oder die Beibehaltung einer Sperrrminderheit. Dies würde nicht nur die strategische Position der Schweiz stärken, sondern auch die Möglichkeit bieten, die phänomenale Entwicklung der Raumfahrt und der damit verbundenen Technologien zur Stärkung unserer Wirtschaft und zur Gewährleistung unserer Sicherheit zu nutzen.
Die Herausforderung ist von strategischer Dimension. Weltraumgestützte Kapazitäten sind für die Telekommunikation, die Geolokalisierung, die Wettervorhersage, die Beobachtung und damit für die Antizipation und die Handlungsfreiheit des Landes von entscheidender Bedeutung. In einer Zeit, in der der Wettlauf um den Weltraum nie gekannte Ausmasse annimmt, muss die Schweiz ein wichtiger Akteur bleiben und darf nicht zum blossen Zuschauer werden. Zudem leisten Weltraumprogramme einen wichtigen Beitrag zur technologischen, industriellen und wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes. Die Schweiz ist hier keine Ausnahme.
Es gilt, das Know-how zu erhalten, die Wettbewerbsfähigkeit und die technologische Autonomie des Landes zu stärken, anstatt es kurzfristig an den Meistbietenden zu verramschen. Der Verkauf solcher Kompetenzen kommt einem One-Way-Ticket ohne Rückkehr gleich. Entscheidet sich die Schweiz, sich von dieser Kompetenz zu trennen, kann sie diesen Entscheid in absehbarer Zukunft nicht mehr rückgängig machen. Andererseits wird die Aufrechterhaltung dieser Aktivität eine gewisse Unabhängigkeit für die Zukunft sichern.
Vereinigung Pro Militia